Wir werden oft mit der Frage konfrontiert, ob Aikido zur Selbstverteidigung geeignet ist, oder mit Aussagen von „Aikido ist überhaupt nicht“ bis „Aikido ist sehr gut zur Selbstverteidigung geeignet“. So, wie es auch für eine Situation nicht die eine richtige Technik gibt, ist die Antwort auf diese Frage kein simples „ja“ oder „nein“.
Erfolgreiche Selbstverteidigung erfordert
- Fitness,
- effektive Technik,
- mentale Stärke.
Die beste Möglichkeit ist, sich einer gefährlichen Situation durch Flucht zu entziehen. Wer einem Angreifer davon laufen will, muss mindestens so lange durchhalten, bis er oder sie in Sicherheit ist. Falls Flucht nicht möglich ist, hilft in der Regel nur eine effektive Technik. Die kann man lernen. Man sollte regelmäßig trainieren um die Fitness zu erhalten und die Technik zu automatisieren.
Mentale Stärke ist wichtig, um geistesgegenwärtig zu sein und die richtigen Entscheidungen zu treffen. Wo Flucht leicht ist, muss man sich nicht dem Risiko eines Kampfes aussetzen. Noch wichtiger: kritische Situationen können bereits im Vorfeld mit Geistesgegenwart entschärft werden: Wo kein Konflikt entsteht, ist das Risiko für eigene Verletzungen am geringsten.
weiterAikido trainiert alle drei Aspekte, wobei dies im Fall von Fitness und Technik offensichtlich ist. Allerdings braucht es im Vergleich zu anderen Kampfsportarten bis zur Beherrschung der Techniken im Aikido üblicherweise mehr Training – es dauert also länger, bis man die Techniken erfolgreich einsetzen kann. Diese Tatsache vermeidet aber auch, dass man sich überschätzt und auf Fähigkeiten vertraut, die man (noch) nicht hat.
Wie trainiert Aikido nun mentale Stärke? Zur Beantwortung dieser Frage ist es hilfreich, sich vor Augen zu führen, was hier mit „mentaler Stärke“ gemeint ist. Es gibt drei wichtige Eigenschaften:
- Achtsamkeit,
- Entschlossenheit,
- Selbstlosigkeit.
Aikido trainiert Achtsamkeit auf mehreren Ebenen: das beginnt damit, dass die Schüler aufmerksam die gezeigten Techniken verfolgen müssen, damit sie in der Lage sind sie selbst auszuführen. Vor Beginn eines Angriffs kontrollieren beide Trainingspartner ihre eigene Körperhaltung und ihre Position im Raum zueinander achtsam. Während der Ausführung der Technik besteht immer ein Kontakt zwischen Uke (dem Angreifer, wörtlich: dem Empfänger) und Nage (dem Verteidiger, wörtlich: dem Werfer); diesen Kontakt müssen wir achtsam beobachten, um Techniken erfolgreich und ohne Verletzungen ausführen zu können. Die Wahrnehmung des Partners mit unseren Sinnen ist entscheidend für Aikido, weil nur sie es erlaubt, die Ausführung einer Technik an die Situation anzupassen. Der Geist des Aikidoka muss offen sein, um diese Wahrnehmungen aufzunehmen und auf Veränderungen reagieren zu können. Schließlich müssen wir nach der Ausführung einer Technik achtsam bleiben, um weitere Angriffe – von der selben Person oder einem anderen Angreifer – parieren zu können.
Viele Aikido-Techniken funktionieren nur durch die dem Aikido eigene Dynamik. Während man manche Techniken (insbesondere Übungstechniken) auch langsam ausführen kann, um sie besser zu lernen, ist es bei Aikido-Techniken nötig, sie mit Entschlossenheit und Konsequenz auszuführen: man kann einen freien Fall nicht in der Luft anhalten. Nur, wenn man entsprechend konsequent agiert, wird die Technik funktionieren und vor allem Verletzungen verhindern, die entstehen können, wenn der Partner über den o.g. Kontakt nicht klar mitgeteilt bekommt, wie er geführt wird.
Die Bedeutung der Selbstlosigkeit ist vielleicht am schwersten zu erklären. Der offensichtlichste Aspekt ist dabei die Selbstüberwindung: viele Schüler kostet es eine gewisse Überwindung, den freien Fall zu üben, weil sie dabei einen Salto vollführen müssen, der mit der Landung auf der Matte endet. Für viele Techniken ist es entscheidend, dass man nicht dem natürlichen Impuls folgt und vor einem Angriff zurückweicht, sondern – im Gegenteil – an den Partner herantritt. Das ist besonders bei Angriffen mit Schwert der Fall, bei denen die Waffe enorm zur Bedrohlichkeit der Situation beiträgt. Es geht hier also darum, sich von einer spontanen (Gefühls-) Reaktion frei zu machen, um angemessen reagieren zu können. Indem wir von uns selbst absehen, werden wir in die Lage versetzt, eine Situation zu einem guten Ende zu führen.
Diese mentale Stärke wächst langsam über viele Trainingseinheiten. Sie kommt aber nicht nur dem Aikido-Training zu Gute sondern auch dem Alltag. Oft reagieren wir automatisch auf Dinge, die ein Gegenüber sagt – da kann es enorm hilfreich sein, zunächst einmal inne zu halten und achtsam festzustellen, was Sache ist. Manches Mal stellen wir dann fest, dass die vermeintlich gehörte Beleidigung gar keine war. Schon ist die Situation entschärft. Wunder vollbringt Aikido-Training natürlich nicht und wir sind alle Menschen. Aber so lange wir üben, besteht Hoffnung auf Verbesserung.